Lamberts Tacheles
 

365 Tage Tabubruch

10. November 2010

Ein selbstkritisches Resümee

Heute vor einem Jahr endete das Leben des Menschen Robert Enke. Doch über dieses Thema wurde genug geschrieben. Vielmehr hat mich an diesem Tage (wieder schreibt die Presse heute über den „Torwart“) interessiert, was vom damals angekündigten Tabubruch wirklich übriggeblieben ist. Als ich selbst die Diagnose Depressionen bekam, war es für mich eher eine Erlösung, weil mit dieser Gewissheit so vieles klar wurde und sich im Nachhinein zusammenfügte.

Die Zeit um Enkes Freitod war Fluch und Segen zugleich. Einerseits konnte man eine Zeit lang recht offen über das Thema sprechen, andererseits bekam es auch einen fast schon perversen „Trendfaktor“, der mich schnell erschreckte. Plötzlich hatte jeder F-Promi Depressionen oder kannte eine Person, die davon gelesen hatte... War es noch vor Jahren „trendy“, homosexuell zu sein, war man nun offenbar depressiv. Meine Offenheit mit der Krankheit wich daher recht schnell wieder der introvertierten „geht-Euch-nix-an-Haltung“.

Ich selbst scheiterte immer wieder an der Komplexität der Krankheit. Man hat keine Wunden, man blutet nicht, es gibt keine äußeren Erkennungszeichen. Mein engster Freundeskreis war sehr gespalten. Die Einen zeigten Verständnis und die Anderen taten das einzig Falsche – Druck ausüben. „Stell Dich nicht an!“, „Das ist doch nur eine Ausrede!“, „Arsch hoch und los geht’s!“.

Man wird immer dünnhäutiger, reagiert sensibler. Dies führt dazu, dass man sich immer mehr „einigelt“ und sich nur noch mit Menschen umgibt, von denen man diesen unangenehmen Druck nicht bekommt. Doch die Depression hat mitnichten nur Nachteile. Ich persönlich bin kreativer, habe zeitweise einen richtigen „Überdruck“ an Kreativität. Diesen kann man dann in gestalterischer Arbeit oder in der Musik entladen. Und die angesprochene Sensibilität lässt einen neuen Blick auf sein eigenes Umfeld zu.

In der Sendung „Inas Nacht“ sprach Schauspieler Wotan Wilke Möhring sehr persönlich über seine Ansichten zum Leben. Diese haben mich zum Teil sehr bewegt und ungemein beeinflusst. Sinngemäß sagte er, dass das Leben zu kurz sei, um es mit Menschen zu verbringen, die einen unentwegt verletzen, enttäuschen, belügen oder auf sonstige Weise irgendwie behindern. Wenn man nach diesem Grundsatz lebt und ihn als eine Art „Filter“ betrachtet, wird das vielzitierte „Umfeld“ deutlich kleiner – ohne Zweifel. Aber es entsteht eine wunderbare Essenz aus Menschen, denen man sein letztes Hemd geben würde und denen man immer Vertrauen schenken kann. Diese Menschen machen dann den Reichtum aus, der das Leben so ungemein lebenswert macht.

Ein großer Nachteil der Depression ist eben oft der Zweifel an diesem lebenswerten Leben. Gedanken wie „was habe ich bisher geleistet?“ oder „wem würde ich fehlen?“ kommen sicher JEDEM mit diesem Krankheitsbild. Diese grübelnden Gedanken werden oftmals so intensiv, dass man sie am Liebsten betäuben würde. Mit Alkohol, mit Drogen, mit Arbeit oder am Ende gar mit dem Tod. Insofern kann ich diesen Gedankengang nachvollziehen, sehe ihn aber nicht als „meine“ Lösung an. Ich stürze mich eher in die kreative Arbeit, um mich abzulenken. Zusammen mit einer medikamentösen Einstellung und einer guten Therapie, hat man dann sicherlich gute Chancen auf Heilung. Und Depressionen SIND heilbar! Es braucht Geduld, verständnisvolle Partner und die Umfeld-Essenz, die den Kranken unterstützt und nicht mit zusätzlichem Druck malträtiert.

Der größte Dank und Respekt gilt immer den Menschen, die 24 Stunden Verständnis haben und aufbringen müssen, damit der Alltag einigermaßen funktioniert.


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