Lamberts Tacheles
 

Arthur "Joker" Fleck

03. August 2023

55 Millionen Dollar. Für Hollywood-Verhältnisse also eher eine „Low Budget“-Produktion. Und doch reicht das vollkommen Budget aus, um diesen Film direkt in die Top 3 meiner Lieblingsfilme zu katapultieren. „Joker“ ist ein visuelles Psycho-Epos, das viele seiner Genre-Vorläufer weit in den Schatten stellt. Regisseur Todd Phillips (u.a. "Hangover"-Trilogie) hat sich hier in die Filmgeschichte inszeniert. Und dennoch ist "Joker" schnell in einer Schublade gelandet, in die der Film nicht gehört. Das liegt wohl an seiner Hauptfigur. Der "Joker" ist eine ikonische Figur aus dem DC-Batman-Universum und der Film ist eine Art Film-Biografie dieser Figur. Mit diesem Franchise schuf man direkt sehr hohe Erwartungen. Und die Batman-Fangemeinde lief auch zuverlässig Sturm nach der Veröffentlichung. "Joker" sei "gar kein richtiger Batman-Film". Und überhaupt wäre der Film zu öde, langatmig und beinhalte viel zu wenig Action. Recht haben sie! Wer "Joker" durch die Brille des Batman-Universums betrachtet, wird enttäuscht werden.

Was sich an den Kinokassen als Erfolg herausstellen sollte (über 1 Milliarde Dollar Einnahmen), wurde dem Film aber auch zum Verhängnis. Aus meiner Sicht hätte Phillips seinen Hauptprotagonisten auch schlicht frei erfinden können. Die Entwicklung vom schwer gebäutelten, psychisch auffälligen Antihelden zur Ikone und zum Anführer, hätte ausgereicht. Zumal mit dem atemberaubenden Spiel eines Joaquin Phoenix. Aber man wollte das DC-Franchise mitnehmen. Vermutlich, um einen höheren Erfolg an den Kinokassen zu erzielen. Diese Rechnung ging auf. Leider. Denn nun wurde ein zweiter Teil produziert. Natürlich taucht dieser noch tiefer in die DC-Welt ein und holt nun auch Harley Quinn (gespielt von Lady Gaga) mit ins erfolgreiche Boot. "Joker: Folie à Deux" wird Anfang Oktober 2023 auf den Leinwänden erstrahlen.

Natürlich verstehe ich die wirtschaftliche Herangehensweise Phillips, der Regisseur und Produzent ist. Künstlerisch kann ich die Entscheidung nicht ganz nachvollziehen. "Joker" ist, ganz ohne Frage, ein Meisterwerk. In jeder Hinsicht. Durch das Andocken an die DC-Welt ging direkt die Erwartungsschublade weit auf. Meiner Ansicht nach hätte es dieses Andocken jedoch nie gebraucht.

Die schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix ist so atemberaubend und fesselnd, dass der Oscar als bester Hauptdarsteller reine Formsache war. Ebenso verhält es sich mit der Filmmusik der Isländerin Hildur Guðnadóttir. Die Arbeit für "Joker" brachte der Cellistin den Oscar, einen Golden Globe und einen Grammy ein. Schon für die Miniserie "Chernobyl" gab es einen Emmy und einen Grammy. Wer diese Musik zu den Bilder erlebt, wirkt regelmäßig mit Gänsehaut belohnt.

Es gibt im Film eine Szene, die im Wohnzimmer Flecks spielt. Er "übt" in ihr seinen Auftritt in einer Late Night-Show. Gebannt schaut man Phoenix dabei zu, wie er sich immer wieder in Pose bringt, aufgesetzt grinst und jede Geste und Mimik trainiert und hinterfragt. Spätestens hier fühlt man, wie Phoenix sich in dieser Rolle regelrecht verliert. Dazu kommt seine Physis, für die er sich vorher 25 Kilogramm abtrainiert hatte.

Es wird zu "Joker" sicherlich unterschiedliche Meinungen geben. Und ich kann nachvollziehen, dass der Film durch die DC-Brille als "künstlerisch" und zu wenig actionreich wahrgenommen wird. Lässt man diese Brille aber im Etui und vergisst das völlig unnötige DC-Franchise, ist "Joker" ein absolutes Meisterwerk. Ich freue mich dennoch auf den zweiten Teil und werde abermals versuchen, die dahinter liegenden Marketingstrategien einfach zu ignorieren.


Zurück zur Übersicht