Lamberts Tacheles
 

Bis hierhin.

29. November 2024

Ein Hut ist nicht einfach nur ein Hut. Er schützt vor Wind, Wetter oder neugierigen Blicken, ist modisches Accessoire und verleiht Stil. Im Mittelalter war er Symbol von Macht und Status, getragen nur von Königen, Priestern und dem Adel. Der Cowboy, der Fakir, der Polizist – jeder Hut erzählt eine Geschichte und sagt so einiges über seinen Träger aus.
Ich selbst bin bekennender Hutträger. Mein Porkpie ist nicht nur ein Accessoire, er ist mein Markenzeichen. Man erkennt mich auch am Hut. Aber was bedeutet so ein Hut eigentlich? Partyhut? Königskrone? Schutzhelm? Tarnung?

Das Beste an einem Hut: Man kann sich darunter verstecken. Ein bisschen weniger sichtbar sein. Kein Haarstyling nötig. Keine Fragen. Keine Blicke. Hut auf, Welt aus.

Warum es diese, zugegeben etwas merkwürdige, Hut-Abhandlung an dieser Stelle jetzt brauchte? Weil man einen Text vermutlich nicht belangloser beginnen könnte. Wer JETZT noch dabei geblieben ist, hat wirklich Interesse an meinen Texten – und damit auch irgendwie an mir. Ich möchte nicht Gefahr laufen, dass diese Offenbarung als „Content um des Contents willen“ verstanden wird.

Seit 2007 kämpfe ich gegen Depressionen. Momentan mit besonderer Anstrengung. „Was??? Du???“ Ja. Ich! Mal geht es besser, mal geht es schlechter. Aber der Kampf dauert schon 17 Jahre an, und es ist an der Zeit, diesen „Hannes“ (der für mich immer durch diesen Stroh-Porkpie symbolisiert wurde) zu begraben. Vielleicht zeitweise. Vielleicht für immer. Aber JETZT!

Depressionen sind ein Arschloch, wurden aber auch öffentlich schon vielfach besprochen. Ihr wisst, worum es geht, und in eurer Umgebung gibt es (schon statistisch gesehen) leider GENUG Menschen, die sich jeden Tag mit „mentalen Problemen“ herumschlagen müssen. Manche kämpfen wie Löwen, andere nicht. Manche zeigen es offen, manche nicht. Ich bitte euch darum, aufmerksam und empathisch für Menschen zu sein, die euch wichtig sind. Zuhören, da sein, ein offenes Ohr haben. Nicht unter Druck setzen und auch keine (gut gemeinten) Aufforderungen zu IRGENDWAS. Es hilft nicht, sondern schadet vor allem. Kein „Nu geh doch auch mal an die frische Luft – dann wird das wieder besser!“. Kein „Du musst einfach mal wieder einen trinken – dann ist deine Stimmung aber GANZ schnell auf 249!“. Und auch kein „Ja… Komm… Ist auch gerade Herbst!“. Fresse halten und ZUHÖREN. Das hilft. Dinge abnehmen hilft auch. Verständnis zeigen. Soooo nämlich.

Die heute erschienene Podcast-Folge („Jammern auf niedrigem Niveau“) ist die vorerst letzte. Ich brauche aktuell Zeit für mich, und die wenige Kraft, die ich aktuell noch habe, brauche ich jede Sekunde für den schnöden „Alltag“. „Hannes“ ist jetzt erstmal im Urlaub. Etwas länger, fürchte ich.

Aber ich LEBE – und das ist nicht selbstverständlich. Versprochen. Weil ich kämpfe, lebe ich. Und ich kämpfe weiter. Das verspreche ich!

Aber DU kannst etwas für mich tun, wenn du magst.

Wenn ich mich nicht bei dir melde, dann nicht, weil ich dich scheiße finde oder du mir egal bist. Mein Kampf kostet enorme Kraft, und die brauche ich gerade für mich.
Wenn wir uns begegnen und ich dich nicht grüße, dir sogar eher aus dem Weg gehe, dann nicht, weil du schlecht riechst, unfassbar scheiße aussiehst oder mich ansonsten irgendwie nervst, sondern weil ich mich SO vielleicht gerade nicht „zeigen“ mag...
Wenn ich bei 30 Grad Außentemperatur, bestem Herbstwetter oder einem sternenklaren Himmel nicht vor die Türe gehen will, dann nicht, weil mich Sonnenlicht tötet, ich eine Holzpfahl-Allergie habe oder einfach ein misanthropischer Computer-Nerd ohne Sozialkontakte bin, sondern weil ich mich in MEINER Burg vielleicht einfach gerade am WOHLSTEN fühle. DAFÜR habe ich sie nämlich (unter anderem) auch mal ausgesucht, ihr unsensiblen Krampen da draußen, die Menschen ständig und „lustig“ auf ihre Fehler hinweisen müssen...!

Diese Gesellschaft blickt kaum noch nach links und rechts. So wird sie auch nicht mehr erzogen. Wir sind eine LEISTUNGSgesellschaft, in der es „schwache“ Menschen schwer haben. Wo beim Tier das Gesetz des Stärkeren darüber entscheidet, ob man seine Pubertät oder sein Altern noch erleben darf, war es mal eine Stärke des Menschen, dass wir Solidarität und Mitgefühl kennen. Davon entfernen wir uns jeden Tag mehr. Das macht mir Angst.

Glaubt mir am Ende dieses Textes bitte eines: Ich bin nicht schwach. Im Gegenteil. Ich bin ein Superheld! Weil ich seit 17 Jahren erfolgreich gegen eine Krankheit kämpfe, die mir jeden Tag Unmengen an Kraft abverlangt. Und ich bin noch da. Ich erfülle meine Pflichten, so gut ich es eben noch kann. Und ich erfülle noch mehr davon, als ihr euch vorstellen könnt. Denn ich lebe noch. Aber heute stirbt vorerst „Hannes“. Und das ist gut so.

Bis hierhin.


Wichtige Hinweise und Hilfsangebote:

Falls du oder jemand, den du kennst, ebenfalls mit Depressionen oder anderen mentalen Problemen kämpft, hier ein paar wichtige Hilfsangebote:**
  • Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenlos und anonym)
  • Krisenchat: krisenchat.de – 24/7 für junge Menschen
  • Online-Beratung: deutsche-depressionshilfe.de
  • Im Notfall: Ruf 112 oder suche die nächstgelegene Notaufnahme auf.

Es ist keine Schwäche, um Hilfe zu bitten. Im Gegenteil: Es ist ein Zeichen von Stärke!


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