Lamberts Tacheles
 

Der Fremde in mir

03. Januar 2009

New York – die sicherste Großstadt der Welt. Doch es ist abscheulich, zu fürchten was man einst geliebt hat. Eine Straßenecke zu sehen, die man genau kennt und Angst vor ihrem Schatten zu haben. Treppen, die man kennt nicht betreten zu können. Ich habe nie verstanden, wie Menschen mit Angst leben können. Frauen die Angst haben, alleine nach Hause zu gehen. Menschen, die Angst haben vor weißem Pulver in ihrem Briefkasten, Dunkelheit, der Nacht. Menschen, die sich vor Menschen fürchten. Ich habe immer geglaubt, Angst haben nur andere. Nur schwache Menschen. Ich war nie betroffen. Und dann doch. Und wenn sie dich ergreift, dann erkennst du, dass sie schon immer da gewesen ist – und gewartet hat. Unter der Oberfläche von allem, was du je geliebt hast. Und du kriegst Gänsehaut. Und dein Herz tut weh. Und du siehst sie dir an – die Person, als die du früher durch die Straßen gingst. Und fragst dich: „Wirst du je wieder sie sein?“.

Dieses Zitat stammt aus dem Film „Die Fremde in Dir“, den wir heute Abend gesehen haben. Dieser atmosphärische Thriller mit Jodie Foster war so nah an meinen eigenen Erfahrungen, dass ich oft Gänsehaut hatte. Überspitzt und streckenweise zu weit weg von meiner Realität – in den Gefühlen und Empfindungen der Hauptperson Erica Bain nahezu identisch. Erschreckend identisch. Als Opfer eines bewaffneten Überfalles fühlte ich sehr oft das Gleiche und dachte auch schon Sekunden über den Besitz einer Waffe nach. Diese Machtlosigkeit, mit der man sich in der Welt bewegen muss, ist so erniedrigend. Und dieser „Fremde in mir“ bleibt – es ist das Gefühl, der Welt nicht mehr vertrauen zu können. Das Gefühl, den Glauben an „das Gute im Menschen“ verloren zu haben. Und man will ständig weg. Weg aus dieser „bedrohlichen“ Heimat, weg von diesen „bedrohlichen“ Menschen und weg von dieser „bedrohlichen“ Leere und Dunkelheit.

Dazu kommt der Zweifel, dass eine Therapie helfen kann. Denn letztlich ist nichts anormales an der Angst vor den Menschen. Sind es doch die Menschen da draußen, die anormal sind. Die sich Macht durch Erniedrigung suchen. Vielleicht ist es eher die fehlende Furcht, die anormal ist. Dabei bin ich nur auf der Suche nach einem Ort, an dem all die Menschen sicher leben können, die mir wichtig und lieb sind. Gibt es so einen Ort? Ich suche weiter. „Die Fremde in Dir“ von Neil Jordan ist Hollywood. Aber der Kern des Films – die Angst nach einem traumatischen Erlebnis – ist es, der diesen Film zu einem besonderen Denkanstoß werden lässt.


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