Lamberts Tacheles
 

Die Geschichte von "Jerry"

12. Februar 2024

Wenn das Leben anders plant

Im Leben gibt es diese Momente, in denen alles, was man sorgfältig geplant und für unumstößlich gehalten hat, auf den Kopf gestellt wird. Es ist, als ob das Universum sich einen Scherz erlaubt und uns daran erinnert, dass Kontrolle letztendlich nur eine dieser Illusionen ist. Wir navigieren durch das Dasein mit einer Karte, die wir für akkurat halten, nur um festzustellen, dass sich die Landschaft verändert hat, während wir blinzelten. Die heutige Geschichte beginnt mit einer solchen unerwarteten Wendung, denn heute soll es hier um "Jerry" gehen. Es ist eine Geschichte, die uns dazu zwingt, unsere Überzeugungen zu hinterfragen, unsere Vorurteile zu überdenken und vielleicht sogar zu akzeptieren, dass das, was wir immer für wahr gehalten haben, einer erneuten Überprüfung bedarf...

Domestizierung von Tieren: Ein kritisches Augenmerk

Die Domestizierung von Tieren ist eine dieser Praktiken, bei denen ich mich frage, ob unsere Vorfahren vielleicht doch zu viel fermentierten Beerenwein getrunken hatten als sie beschlossen, wilde Tiere in die heimischen Höhlen zu holen. "Aber wir machen das doch schon immer so", hallt es durch die Jahrhunderte. Ein Satz, der so viel Ignoranz und Selbstgefälligkeit in sich birgt, dass er fast schon wieder beeindruckend ist. Tradition als Rechtfertigung für fragwürdige Entscheidungen – eine für mich eher merkwürdige Logik. Der Mensch hat keine Probleme damit, einen ausgewachsenen Tigerpython im Terrarium der heimischen 50qm-Wohnung in Wanne-Eikel zu halten. Oder die ausgewachsene Meeresschildkröte durch den Schrebergarten im Brandenburgischen dödeln zu lassen, während man sich über die Haltung von Berggorillas im nächsten Zoo aufregt. "Seht her", könnte der stolze Besitzer sagen, "ein Stück Wildnis in meinem Wohnzimmer." Diese "Wildnis" im Wohnzimmer hat einen hohen Preis...

Aber betrachten wir kurz die historischen Grundlagen. Domestizierung begann nicht als ambitioniertes Projekt, die Arche Noah in einem Vorort nachzubilden. Es war eine Frage des Überlebens, der Nahrungssicherung und vielleicht ein wenig der Gesellschaft. Hunde wurden nicht gezähmt, weil jemand dachte, es wäre nett, einen pelzigen Freund fürs Leben zu haben. Sie waren nützlich – für die Jagd, als Wachhunde, als lebende Heizkissen. Aber irgendwo auf dem Weg haben wir die Orientierung verloren. Aus nützlichen Begleitern wurden Accessoires, Statussymbole, und ja, manchmal sogar Ersatz für menschliche Beziehungen. Die Domestizierung ist irgendwann (wie viele andere Dinge) eskaliert und diese Eskalation entschuldigen wir damit, dass die Tiere "ihr natürliche, ursprüngliche Umgebung ja gar nicht mehr kennen". Chapeau, lieber Mensch. "Merkwürdige Argumente" hast du wirklich durchgespielt...

Die Wahrheit ist, dass die Domestizierung von Tieren ein zweischneidiges Schwert ist. Auf der einen Seite hat sie uns treue Gefährten und hilfreiche Partner beschert. Auf der anderen Seite hat sie uns in eine Position der Macht und Kontrolle gebracht, die wir nicht immer weise oder mitfühlend nutzen. Es ist ein komplexes Thema, voller Grautöne und widersprüchlicher Gefühle. Aber eines ist sicher: Die Entscheidung, ein Tier in unser Leben zu lassen, sollte niemals leichtfertig getroffen werden. Denn am Ende des Tages sind es nicht nur die Tiere, die domestiziert werden. Auf eine seltsame, unerwartete Weise domestizieren sie auch uns.

Und dann kam Jerry...

Die Welt ist voll von Organisationen, die sich leidenschaftlich dem Schutz und der Rettung von Tieren widmen. Ein Lichtblick in den oft düsteren Geschichten über Missbrauch und Vernachlässigung. Ein herausragendes Beispiel ist die Santorini Animal Welfare Association (SAWA), eine NGO, die sich seit 1992 unermüdlich für die Tiere der Insel Santorini einsetzt. SAWA kümmert sich um eine Vielzahl von Tieren – von streunenden Hunden und Katzen über verlassene Esel und Maultiere bis hin zu Ziegen, Schweinen und sogar Papageien, wobei der Schwerpunkt auf der Kastration, medizinischen Behandlung und, wenn möglich, der Vermittlung der Tiere liegt.

Es ist diese unermüdliche Arbeit, die meine Lebensgefährtin dazu bewegt hat, sich dem Vorstand von SAWA anzuschließen und Teil einer Bewegung zu werden, die einen realen Unterschied im Leben vieler Tiere macht. Ihre Geschichten von Rettung und Rehabilitation, von neu gefundenen Hoffnungen in einem sicheren Zuhause, haben mich oft tief berührt. Gerade beim Thema "Esel und Maultiere" liegt ein dunkler Schatten über dem Urlaubsparadies. Jede Saison aufs Neue werden Massen an (zum Teil schwer übergewichtigen) Touristen die beschwerlichen Berg-Serpetinen von den Anlegestellen der Touristenschiffe bis zu den oben gelegenen Touri-Orten transportiert und die Tiere dabei unvorstellbaren Tortouren ausgesetzt. "Funktionieren" diese Tiere dann nicht mehr, werden sie aussortiert und dem Tod freigegeben. SAWA bietet diesen Tieren einen würdigen Altersruhesitz und bringt ihnen den Respekt entgegen, den sie verdienen.

Die vielen Geschichten der ausgesetzten und gequälten Tiere, die bei SAWA aufgenommen würde, lassen oftmals an der Menschlichkeit vieler Artgenossen zweifeln. Wie zum Teil mit Lebewesen umgegangen wird, spottet jeder Beschreibung und mir gefriert das Blut in den Adern, wenn ich über die teils grausamen Erzählungen nachdenke. Diese Seelen verdienen ein würdiges Leben voller Liebe, Zuwendung und Respekt. Es könnte so einfach sein. Eigentlich.

Genau wie "Jerry". Ein Bewohner von SAWALAND, dessen Geschichte, Charakter und unwiderstehliche Persönlichkeit uns faszinierten. "Jerry," derzeit noch auf Santorini, könnte tatsächlich derjenige sein, der mich dazu bringt, all meine Bedenken gegenüber der Domestizierung von Tieren über den Haufen zu werfen. Oder zumindest zu hinterfragen. Ja, ich bin noch immer kein Freund davon. Das wird auch so bleiben. Aber "Jerry" könnte eine dieser Seelen sein, die gerettet wird. Und er wurde nicht dafür gezüchtet, uns zu "erfreuen". "Jerry" ist schon da. Und wie viele seiner SAWA-Mitbewohner sucht er ein liebevolles Zuhause.

Obwohl die Entscheidung, ihn in unsere Familie aufzunehmen, noch nicht endgültig gefallen ist, sieht es momentan ganz danach aus, als ob es nur noch eine Frage der Zeit ist...

Diese Erfahrung mit SAWA und "Jerry" hat mich gelehrt, dass Liebe und Mitgefühl mächtige Kräfte sind, die Vorurteile überwinden und Leben verändern können – nicht nur das der Tiere, sondern auch unser eigenes​​...


Ich möchte an dieser Stelle auch um Spenden für SAWA bitten. Es kann sehr einfach über diesen Link gespendet werden. Aus erster Hand weiß ich, dass das Geld wundervoll verwendet und immer dringend benötigt wird.


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