Lamberts Tacheles
 

Ein Text für Gott

20. Oktober 2022

Heute hat Gott Geburtstag. Dieser Satz klingt tatsächlich merkwürdig. Gott wurde am 20. Oktober 1966 geboren. Zugegeben, es wird nicht besser. Ein Atheist schafft sich seine Götter einfach selbst. Und Stefan Raab ist eben meiner. Es gibt zahlreiche Lobhudeleien über Stefan Raab im Netz. Und vermutlich noch mehr Texte, die sich negativ über ihn auslassen. Ihm wäre vermutlich beides recht. Polarisiert hat Raab schon von Anfang an. Ab 1993 moderierte er fünf Jahre lang "Vivasion" im noch jungen Musikfernsehen. Schon da war Provokation und Rebellentum Programm. Fernsehen wurde rotzig, frech und unangepasst. Raab hat diesen Wandel immer schon entscheidend geprägt und damit, nahezu unbemerkt, dazu beigetragen, das Fernsehen vom Sockel zu nehmen. Streng genommen ebnete er mit seiner Art die Grundlagen für das, später so erfolgreiche, "Web 2.0" in Deutschland.

Doch schon bevor Stefan Raab vor der Kamera bekannt wurde, war er erfolgreich hinter der Kamera aktiv. Als Musikproduzent schuf er Jingles und Musik für zahlreiche Fernsehformate und Werbepartner. Im Frühjahr 1999 startete dann sein Erfolgsformat "TV total". Hier gaben sich Weltstars wie James Brown, Elton John, Eminem oder 50 Cent die Klinke in die Hand. Raab produzierte im Rahmen der Sendung unzählige Chart-Hits, TV-Ableger und Sportveranstaltungen. Trotz stetig sinkender Quoten war "TV total" ein Meilenstein. Eine lockeres Late Night-Format, das mit den "heavytones" sogar DIE TV-Showband schlechthin etablierte.

Raab ist Ästhet und hat ein gutes Gespür für das richtige Format im richtigen Moment. Als er sich Ende 2015 ins Privatleben zurückzog, war schnell klar, dass da eine Lücke entsteht. Und diese Lücke des "allumfassenden" Entertainers klafft bis heute. Raab selbst versuchte später, mit "Täglich frisch geröstet", diese Lücke mit Jens "Knossi" Knossalla zu schließen. Doch es bleib beim ersten Versuch. Nach einer Staffel war bereits Schluss.

Mitten in der Pandemie, im Jahr 2021, kam dann "TV total" zurück auf den Bildschirm. Nicht mehr mit Raab als Gastgeber, sondern mit Sebastian "Puffi" Pufpaff. Der Aufschrei war anfänglich groß. Zu groß schienen die Fußstapfen. Kein Ersatz für Stefan Raab. Im Privatfernsehen noch nahezu unbekannt (Pufpaffs "Happy Hour" lief auf 3sat). Und die ersten Sendungen, noch ohne Publikum, konnten nicht so richtig zünden. Wieder ein vergeblicher Wiederbelebungsversuch der raabschen Late Night? Mitnichten! Pufpaff etablierte, nach leichten Anlaufschwierigkeiten, einen ganz eigenen Stil. Ich persönlich mochte Pufpaff in seiner Kabarett-Sendung auf 3sat nie sonderlich. Hier jedoch war er plötzlich die Idealbesetzung. Niemand hätte besser aus den riesigen Fußstapfen treten können. "Puffi" avancierte in kürzester Zeit zur Kult-Figur. Er hat die Rotzigkeit von Raab, nimmt sich selbst nicht zu ernst und mimt dabei immer den "Kumpel von nebenan". Die Quoten von "TV total" stiegen. Das Experiment der "TV total"-Wiederbelebung scheint geglückt zu sein. Und das in einer Zeit, in der es das lineare Fernsehen schwer hat.

Ich persönlich hoffe, dass "TV total" ein TV-Denkmal bleibt. Wie es "Wetten Dass..?!" auch hätte werden können. Eine Sendung, die man auch dann über den Äther schickt, wenn die Quoten mal sinken. Raab bleibt hinter den Kulissen aktiv und produziert, mit seiner Firma Raab TV auch noch weitere Unterhaltungs-Formate.

Als er 2015 in "TV-Rente" ging, hatte ich direkt so ein Gefühl. "Der wird jetzt ein paar Jahre von der Bildfläche verschwinden, 'reifer' werden und dann mit einem ernsthafteren (Talk?-) Format, vielleicht auf einem anderen Sender, zurückkommen.". So war meine Prognose. Seit sieben Jahren wird dieser Wunsch nicht erfüllt. Wir warten mal ab...

Stefan Raab ist so viel mehr als der "unangepasste TV-Rüpel". Raab hat eine TV- und Musik-Generation entscheidend geprägt und hat unzählige Kollegen und Kolleginnen inspiriert und beeinflusst. In Zeiten von einengender Political Correctness sind Menschen wie Raab oder Pufpaff ein Segen. Götter eben. Und seine Götter sucht sich der Atheist eben immer noch selbst aus!


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