Lamberts Tacheles
 

The Kelly Family - ein modernes Märchen

23. Dezember 2023

Die Ursprünge: Amerikanischer Traum mit europäischen Wurzeln

Im Schatten der großen Hungersnot, die Mitte des 19. Jahrhunderts Irland heimsuchte, begann die Geschichte der Kellys – eine Familie, die von Hoffnung getrieben wurde und im Herzen nur eines trug: den Traum von einem besseren Leben. Es war eine Zeit des Aufbruchs, eine Epoche, in der Tausende ihre Heimat verließen, getrieben von der Sehnsucht nach Freiheit und dem Versprechen des amerikanischen Traums.

1850 markiert für die Kellys nicht nur ein Jahr, sondern den Beginn einer Reise, die Generationen überdauern sollte. Sie waren Teil der wagemutigen Seelen, die den unermesslichen Atlantik überquerten, um in Amerika Fuß zu fassen. In ihren Herzen trugen sie die Melodien ihrer Heimat, ihre Kultur und ihre unerschütterliche Resilienz. Mit jeder Welle, die das Schiff in die neue Welt schaukelte, wurden alte Bande gelockert und der Grundstein für eine neue Geschichte gelegt.

Diese frühe Entscheidung, ihr Schicksal in fremden Ländern zu suchen, ist bezeichnend für den Charakter der Kelly Family, der sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte zieht: Mut, Risikobereitschaft und die tiefe Überzeugung, dass Musik eine universelle Sprache ist, die Herzen verbindet und Brücken baut, selbst über den größten Ozean.

Die Ankunft in Amerika brachte nicht nur die Herausforderungen des Neuanfangs mit sich, sondern auch die Möglichkeit, ihre Musik zu teilen und zu kultivieren. Sie spielten auf den Straßen der wachsenden Metropolen, in Pubs und auf Volksfesten, und mit jedem Lied, das sie zum Besten gaben, webten sie ein Stück ihrer Identität in den bunten Kultur-Teppich ihrer neuen Heimat ein.

Dieses erste Kapitel ist mehr als nur eine Zeitlinie von Daten und Ereignissen – es ist eine Ode an die Kraft des menschlichen Geistes und an die unendlichen Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn man bereit ist, das Vertraute hinter sich zu lassen und ins Unbekannte aufzubrechen.

Neubeginn in Europa: Die Ära des Patriarchen

Als die Familie Kelly in den Nachkriegsjahren des 20. Jahrhunderts nach Europa zurückkehrte, geschah dies nicht nur aus Nostalgie, sondern auch aus einer Vision heraus, die vom Familienoberhaupt Daniel „Dan“ Kelly geprägt war. Dan, ein Mann von stoischer Präsenz und tief verwurzelter musikalischer Leidenschaft, stand fortan im Zentrum des Familienlebens und wurde zum Architekten ihres Schicksals.

Mit der Rückkehr nach Europa begann für die Kellys eine Ära, in der Dans Rolle als Patriarch sowohl ein Segen als auch eine Herausforderung darstellte. Sein unerschütterlicher Glaube an die bindende Kraft der Musik und die Bedeutung von Familie wurde zur treibenden Kraft hinter dem gemeinsamen Auftreten als Straßenmusiker. Er lehrte seine Kinder nicht nur die Noten und Texte, sondern auch die Disziplin und Hingabe, die erforderlich sind, um in einer oft unbarmherzigen Musikwelt zu bestehen.

Dans Führungsstil war geprägt von einer Mischung aus traditionellen Werten und der Notwendigkeit, seine stetig wachsende Familie zu ernähren. Dieser Umstand führte zu einer starken Präsenz auf Europas Straßen und Plätzen, wo die Kellys mit offenen Gitarrenkoffern und klangvollen Harmonien das Publikum begeisterten. Die Kehrseite des patriarchalischen Modells war eine Strenge, die zu Spannungen innerhalb der Familie führen konnte, als die Kinder zu individuellen Künstlern heranreiften.

Die Vorzüge von Dans Führungsrolle waren dennoch unverkennbar. Er schuf eine Einheit, eine musikalische Identität, die weit über die Grenzen eines einzelnen Genres hinausging. Seine Kinder wurden in die Welt der Musik hineingeboren und wuchsen mit der Gewissheit auf, dass ihre Zusammenarbeit und ihr gemeinsamer Ausdruck ihre stärkste Waffe gegen die Widrigkeiten des Lebens waren.

Doch die Nachteile eines solchen Familiengefüges wurden ebenso deutlich. Der Druck, den Erwartungen eines charismatischen Vaters gerecht zu werden, die fehlende Freiheit, eigene musikalische Wege zu gehen, und die Schwierigkeit, die eigene Identität innerhalb der Familienstruktur zu finden, waren Herausforderungen, denen sich die Kelly-Kinder stellen mussten.

Durchbruch: Vom Straßenrand in die Herzen der Fans

Im dritten Kapitel der Kelly Family erzählt sich die Geschichte eines mühsamen Marsches durch die Dürrejahre, in denen der Traum von kommerziellen Erfolgen oft so weit entfernt schien, dass "steiniger Weg" eine sehr untertriebene Beschreibung wäre... Es war eine Zeit des unermüdlichen Reisens, der Auftritte bei Wind und Wetter, wo jede gespielte Note und jedes Lächeln gegen die Gleichgültigkeit der Passanten erkämpft werden musste.

Der Patriarch Dan, der die Familie bisher mit fester Hand geleitet hatte, begann allmählich, sich aus dem Rampenlicht zurückzuziehen. Spätestens nach einem schweren Schlaganfall, im Jahre 1990, der ihn rechtsseitig lähmte, musste er kürzer treten. Dieser Rückzug markierte nicht nur das Ende einer Ära, sondern gab auch den Startschuss für eine neue Phase der Emanzipation innerhalb der Familie. Die jüngeren Kellys begannen, ihre eigenen musikalischen Ideen und Identitäten zu formen, was zu einer erfrischenden und vielfältigen Veränderung ihres Sounds führte.

Mit dieser neu gewonnenen Freiheit und der fortschreitenden Emanzipation von der patriarchalischen Struktur fand die Kelly Family zu einem neuen, kraftvolleren Ausdruck, der sich in einer Reihe von Alben widerspiegelte, die sowohl die Kritiker als auch die Massen überzeugten. Das Spektrum ihrer Musik erweiterte sich, und die einmal als Straßenmusiker belächelte Familie wurde zum Synonym für ausverkaufte Konzerte und chartbrechende Hits.

Der immens erfolgreiche Durchbruch kam mit einem Sound, der sowohl die rustikalen Wurzeln der Familienband als auch zeitgenössische Einflüsse vereinte. Ihre Alben und Singles stürmten die Charts, und die einstigen Straßenkünstler füllten nun die größten Konzerthallen Europas. Das Bild der Kelly Family auf der Bühne wurde zu einer Ikone der 90er Jahre, und ihre Lieder – eine Mischung aus Folk, Pop und einer Prise Rock – wurden zu Hymnen einer ganzen Generation.

Moderne Zeiten: Diversität und individuelle Wege

Die Kelly Family hat sich im Laufe der Jahre von einer eng verbundenen musikalischen Einheit zu einem Mosaik individueller Künstler entwickelt, die jeweils eigene Wege beschreiten.

Heute sind die Mitglieder der Kelly Family nicht mehr nur als Gruppe, sondern auch als Solo-Künstler erfolgreich. Angelo, Maite und Michael Patrick ("Paddy") sind solo unterwegs, während Kathy, Paul, Patricia, Joey, John und Jimmy auch noch unter dem Namen "The Kelly Family" gemeinsam auftreten. Gerade Joey Kelly ist medial immer wieder präsent, weil er als ewiger "Raab-Bezwinger" an zahlreichen Events des Entertainers (ich nenne ihn hier in diesem Blog ja immer gerne "Gott") teilnahm und dort immer durch seinen unerschütterlichen Siegeswillen auffiel. Zuletzt war er Teilnehmer bei "7 vs. Wild" und gewann die "Knossi-Edition" von "Big Brother", die auf der Plattform Twitch gestreamt wurde.

Gerade Joey sehe ich noch schreiend und mit langer Mähne bei "Why, Why, Why" auf der Bühne stehen. Mein inneres Auge sieht ihn quasi headbangend als "Metal-Fürst". Lustig, wie mein optisches Verständnis von "Metal" geprägt wurde. Durch ein Mitglied der Kelly Family... Kann man sich nicht ausdenken ;)

Meine persönliche Reise mit der Kelly Family

Als ich Anfang der 90er-Jahre die Kelly Family in der Fußgängerzone von Ulm bewunderte, konnte ich nicht ahnen, welchen Einfluss diese Begegnung auf mein Leben haben würde. In weißen Gewändern standen sie da, eine eindrucksvolle Erscheinung, die bereits damals, nur wenige Jahre vor ihrem großen Durchbruch, meine Faszination weckte. Ich erinnere den großen, eindrucksvollen Doppeldeckerbus, der neben der Bühne vor dem Ulmer Münster stand. Und es standen keine Menschenmassen davor. Sondern eine kleinere Anzahl interessierter Zuhörer. Und ich war einer davon.

Die Welt der Kellys öffnete sich mir vollends durch meine jüngere Schwester, die ein riesiger Fan wurde. Als Junge war es damals "uncool", die Kellys zu mögen, aber die Fanliebe meiner Schwester zog auch mich in diese "Bubble". Ich konnte nicht umhin, das Hit-Album "Over The Hump" zu hören, auf dem es einige Songs gab, die auch mich schwer begeisterten. Und ich "musste" es unzählige Male zusammen mit der dazugehörigen LIVE-VHS hören und sehen.

Im Dezember 1996, als die Kelly Family bei "Wetten dass" in Hannover auftrat, stellte ich mich an den Bauzaun des Backstage-Bereiches, um Fotos der Kellys für meine Schwester zu machen und vielleicht ein Autogramm zu ergattern. Tatsächlich konnte ich Fotos schießen und sogar kurz mit Maite Kelly sprechen. Die leuchtenden Augen meiner Schwester, als ich ihr von meinem kleinen Abenteuer erzählte, werde ich nie vergessen. Wie sie später die entwickelten Fotos in ihren Händen hielt und "quieckte" - das wiederholt sich gerade bei meiner Tochter. Nur nicht mehr wegen der Kellys... ;)

Jahre später, bei einem Ausflug nach Köln, machte ich Fotos von der "Sean O'Kelly", dem Schiff, auf dem die Kellys zu dieser Zeit lebten. Es war beeindruckend zu sehen, welchen Einfluss dieses Schiff auf den gesamten Stadtteil hatte. Fans campten vor dem Hafengelände, der Stadtteil war übersät mit Stickern, Graffiti und Nachrichten für die Kellys. Sie waren überall omnipräsent, ein Phänomen, das sie selbst wohl kaum beabsichtigt hatten.

Besonders faszinierend finde ich bis heute die Entwicklung von "Paddy" Kelly, alias Michael Patrick Kelly. Vom Teenie-Schwarm zum respektablen Solo-Künstler und großartigen Singer-Songwriter. Seine friedliche Aura, die Zeit im Kloster und sein Comeback als Solokünstler zeugen von einer bemerkenswerten Persönlichkeitsentwicklung. Für mich ist er der interessanteste Charakter der Familie, und ich habe bis heute den großen Wunsch, ihn einmal persönlich zu treffen. Nicht bei einem formellen "Meet & Greet", sondern zwanglos an einem Pub-Tresen, wo wir als zwei Menschen über das Leben plaudern könnten. Ein wirklich inspirierender Mensch. Sein Lied "Shake Away" war 2015 meine persönliche Hymne für den eigenen Neubeginn. Und zum ersten Mal im Leben habe ich selbst, der ja auch aktiv Musik macht, gemerkt, was Musik auslösen kann. Dass es diese viel beschriebene "Macht der Musik" tatsächlich gibt. Dass Musik enorm motivieren und auch im Inneren verändern kann.

Und mit dieser persönlichen Hymne schließt sich der Kreis meiner Sicht auf die Kelly Family. Und natürlich fehlen noch enorm viele Aspekte in diesem Reise-Märchen. Der frühe Tod der Mutter, Anfang der 80er Jahre, zum Beispiel. Aber diese Familie hat mich immer fasziniert. Wenn ich es auch nicht IMMER zugeben durfte / wollte / konnte. Und das tut sie bis heute.


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